von Herr Stüber (Aachener Nachrichten)
Nordkreis Nicht immer haben Kinder in Heimunterkunft verständnisvolle Unterstützung erfahren. Eine Selbsthilfegruppe, angesiedelt beim Kinderschutzbund, möchte Anlaufstelle für Betroffene sein, denen Schlimmes widerfahren ist.
Es gibt Bücher und Filme, Interviews und Berichte mit und über ehemalige Heimkinder, denen in ihrer Jugend Schlimmes angetan wurde. Es geht um Aufwachsen in Lieblosigkeit, kalte Strenge, die Erfahrung von Gewalt, Misshandlung und Missbrauch, schwere Arbeit und vorenthaltene Bildung. Das hat lebenslange Spuren hinterlassen. Aber es ist schon eine andere Qualität, einem der Betroffenen persönlich zu begegnen und zu erleben, welche Kraft und Mut dazu gehören, öffentlich über das eigene Schicksal zu sprechen – und obendrein anderen Opfern zu helfen. Ernst Christoph Simon ist einer von ihnen. Er ist ein Ansprechpartner der Selbsthilfegruppe Ehemaliger Heimkinder in der Städteregion Aachen (SEHKA), die in der Geschäftsstelle des Kinderschutzbundes an der Bardenberger Straße in Würselen untergebracht ist (siehe Info). Der studierte Diplom-Betriebswirt ist zudem Mitglied im begleitenden Arbeitskreis ehemaliger Heimkinder beim Landschaftsverband Rheinland, der sich seit Jahren mit der Thematik befasst.
Da geht es unter anderem um Fragen der Anerkennung und der Entschädigung. „Die Selbsthilfegruppe hier befindet sich noch im Aufbau“, sagt Simon. Der Kinderschutzbund in Würselen mit Geschäftsführerin Ulla Wessels ist seit Herbst 2020 Anlaufstelle für die Region und bietet in Kooperation mit dem LVR Förderung bei allen Fragen rund um diese Zeit an. Verbunden ist damit ein Netzwerk von Betroffenen und Fachleuten. Traumatische Erlebnisse wollen aufgearbeitet werden, Betroffene wollen ihren Frieden finden – endlich. Für ältere ehemalige Heimkinder entsteht zusätzlich im Alter die „Bedrohung“ einer erneuten Heimunterbringung – jetzt in einem Alters- oder einem Pflegeheim.
„Wir sind zur Verschwiegenheit verpflichtet“, sichert er zu und ermutigt Betroffene, sich zu melden. Die durch die Pandemie bedingten Einschränkungen haben die Arbeit zwar behindert. So sind die Angebote der Selbsthilfegruppe zunächst nur von wenigen wahrgenommen worden. „Wir wissen aber, dass ein großer Bedarf da ist.“ Gerade durch Berichterstattung zu Verschickungskindern und Missbrauchsfällen in kirchlichen Einrichtungen kommen die Erinnerungen hoch. Zudem sind Opfer von damals mittlerweile in die Jahre gekommen, in denen man Lebensbilanz zieht und sich Verdrängtes wieder in den Vordergrund schiebt, alte Ängste und Gefühle inbegriffen.
Simon hat acht Jahre Heimerziehung erlebt, die er ohne den Beistand seines älteren Bruders nicht überstanden hätte, wie er bekennt. Sein erschütternder Bericht ist unter https://sehka.org/biografie nachzulesen. Sicherlich sind die Verhältnisse in den Heimen von damals nicht mit denen von heute zu vergleichen, betont Simon: „Subtile Quälerei gibt es aber immer noch.“ Strafen seien aber völlig ungeeignet, um Kinder gesellschaftsfähig zu machen. Er will dazu beitragen, Opfern Gehör zu verschaffen und ihnen Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. „Es gibt uns. Wir sind da!“ Seiner Erfahrung nach gebe es eine „Machtasymmetrie“ in der Kinder- und Jugendhilfe. Freie Initiativen stünden in Konkurrenz mit der öffentlichen Jugendhilfe. Er tritt nun für einen „Austausch auf Augenhöhe“ ein. (ks)